Homo Reloaded

Wir sind im 21. Jahrhundert angekommen. Eine Zeit, in der Offenheit oft mit Schamlosigkeit verwechselt wird. Man hört und sieht alles, lauscht intimen Telefongesprächen an öffentlich Orten, erfährt so Details, die man eigentlich gar nicht wissen wollte, schaut anderen beim Sex zu , wixt online, macht Andersdenkende in Foren fertig, macht Versprechen um sie dann wieder zu vergessen, wir vergessen, dass die Versprechen vergessen wurden, alles ist schnelllebig, was morgens in war, ist abends out, was ich vorhin gelesen habe erreicht nur das Kurzzeitgedächtnis, man bedient sich mit fremdem Geld, fickt auch mal zuhause und geht zwischendurch einkaufen für die Oma.

Wir Homos werden langsam gesellschaftsfähig, dürfen ans Licht und sehen uns dadurch konfrontiert mit einer ganz neuen Herausforderung, Challenge. Plötzlich ist es uns wichtig, wie der andere Homo sich benimmt. Mir ist wichtig, wie die Heteros über Homos denken. Ich bin ja in der Bringschuld. Weil jetzt sehen sie uns ja. Und Homo ist nicht mehr gleich Homo. Es gibt gute Homos, brave Homos und versaute Homos. Die Heten hatten dieses Problem nie. Nicht, dass alle Heten toll finden was andere Heten tun, aber sie führen es nicht aufs Hetensein zurück. Ein Macker ist ein Macker, ein Softie ein Softie, der Frauenversteher sitzt beim Pinkeln, burschikose Frauen mit verrauchten Stimmen sind Originale, Nutten sind Sexarbeiterinnen und präventiv im Einsatz damit anständige Frauen möglichst nicht vergewaltigt werden, Feministinnen sind entmannzipiert, ein Hetero, eine Hetera hat charakterliche Vorzüge und Nachteile, Macken, Ecken und Kanten, kämpft für Familie, Ordnung und Sitte. Zu hetero oder zuwenig hetero gibt es nicht.

Und wir? Wir bleiben Homos, die gerne so wären wie die Heten. Die einfach ganz „normal“ leben möchten, die nicht gleich als Homo erkannt werden möchten, weil es ja nichts zur Sache tut. Wenn ich nicht als Hete durchgehe, dann wenigstens als Neutrum. Wir machen unsere Anliegen, unsere Werte, unsere Empfindungen nicht zum Thema. Nein, wir bleiben neutral, bedeckt, halten uns zurück, weil es ja nicht um Homosein geht.

Das stimmt schon. Es geht nicht um Homo, es geht auch nicht um Hetero. Es geht um Themen, Geschmack, Vorlieben, Empfindungen, alltägliche Wahrnehmungen, Beziehungen, Freunde, Freundinnen, Menschen und ihr Verhalten zueinander. Und da ich Homo bin, sind die nunmal nicht Hetero. Eine Frau erlebt die Welt anders als ein Mann. Sie hat, wenn sie nachts nach Hause läuft und in eine schlecht beleuchtete Strasse einbiegt, andere Gedanken im Kopf als ein Mann. Eine Frau wird in der Geschäftswelt, in der Politik anders wahrgenommen. Sie ist mit dem Leben und den Umständen durch die von Heteromännern bestimmte Sozialisierung anders konfrontiert. Selbst als Mütter erziehen sie ihre Töchter meist so, dass sie später „ihren Mann“ stehen können, bereiten sie auf den Männerwahnsinn, Krieg und Unterdrückung vor und so werden aus Töchtern später Ehefrauen, die dem Mann die Mutter ersetzen.

Als Homo erlebe ich die Dinge anders, wie ein Hetero. Als Homo wurde ich auf eine Heterowelt vorbereitet, ich wurde heterosozialisiert. Mein Homodasein erlebte ich heimlich, 2 mal jährlich, als der Versandhauskatalog eintraf und ich mir die Männer in Unterwäsche ansehen konnte. Sonst war da weit und breit nichts vorhanden, dass auch nur annähernd mit mir tun gehabt hätte. Filme, Bücher, Magazine, Beziehungen, Gespräche, Diskussionen, Debatten, alles war auf Mann und Frau ausgerichtet. Meine Geschichte, meine Empfindungen, meine Wahrnehmungen wurden so geprägt, deshalb sehe ich die Welt heute vom anderen Ufer. Ich kann nicht anders, es zu unterdrücken geht nicht mehr. Ich bin nichts Besonderes, nur Homo. Darüber müssen wir reden. Nicht über Homo, aber über uns. Über unsere Wahrnehmungen, unsere Empfindungen, unseren Alltag.

Da wir Homos jetzt sichtbarer werden, muss ich mich zeigen, muss so gut es geht, so gut ich kann, mich in meinen Erzählungen, meinen Diskussionen, Debatten mit einschliessen und den Homoteil in mir nicht mehr ausschliessen. Sonst werden die Heten nie verstehen was es bedeutet Homo zu sein und uns weiterhin reduzieren. Wir müssen ihnen eine Chance geben, uns kennen zu lernen. Und zwar nicht primär an CSDs und Prides und Gayfestivals, nein, die anderen 364 Tage! Wenn wir alleine sind und nicht unter Freunden, die uns akzeptieren, sondern in einem Umfeld wo es für uns auch mal unbequem werden kann. Wie die Frauen sich in einer Männerwelt zurecht finden müssen, müssen wir uns in einer Heterowelt zurecht finden. Eine Frau muss dabei Frau bleiben. Wir müssen Homo bleiben. Jeder und jede so wie er oder sie ist. Auch Transmenschen. Wir sind wie wir sind. Solange wir uns vergleichen mit einem Ideal, einem Bild, einer Vorstellung wie ein Homo zu sein hat, solange tun wir, was man uns antut: Wir werten, verurteilen, selektionieren, grenzen aus.

Wenn ich mich nicht zeige, an CSDs, Prides und Festivals und viel wichtiger, wenn ich im Alltag ein Neutrum bleibe, wenn ich nicht wählen gehe, dann darf ich mich nicht über das Resultat aufregen.

Homo sum, humani nihil a me alienum puto. Aus der Komödie Heauton Timorumenos (dt. „Der Selbstquäler“) des Dichters Terenz (Vers 77).
Mensch bin ich, nichts Menschliches ist mir fremd.

Zu hetero? Zu homo? Es ist alles nur all Zu menschlich.

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